ulrich berghäuser

Downhill & Marathon

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bericht 25. Venedig Marathon 24.10.2010

venedig 'al banco'

Stehvermögen ist in der lagunenstadt gefragt – sei es du willst den Venedig Marathon bis zum ende durchstehen,  oder du  willst die bars der stadt kennenlernen. Stehvermögen fordern die  14 brücken, die bei dem lauf in den letzten 3 km durch die altstadt zu überwinden sind. Stehvermögen fordert auch der günstige Barbesuch wegen der ungewöhnlichen preisgestaltung, die den verzehr an der bar gegenüber dem sitzen am tisch so preisgünstig macht.

 

 

 

 

 

 

 


Wer am vorletzten wochenende  im Oktober die stadt der kanäle und brücken besucht, möchte natürlich beides erleben. Neben der flachen und schnellen strecke gab es in diesem jahr  noch einen grund mehr  gerade hier zu laufen. 25 Jahre wurde der marathon alt. Schon zu beginn des jahres hatte ich den preiswerten flug mit dem deutschen flieger festgemacht. Auch ein günstiges sporthotel hatte ich gleich dazu gebucht. Diese seite des vorhabens war somit schon mal klar. Weniger gut geplant  ging es  aber beim training zu. Urlaub, dienstreisen und andere verplante wochenenden ließen den trainingsplan arg schrumpfen. So schaffte ich zwar 4 lange läufe, aber kein einziges tempotraining. Egal, eine bestzeit würde ich da sowieso nicht hinbekommen – die brücken und warmes wetter könnten dagegen sprechen, und zwei tage durch die altstadt bummeln kostet auch seinen preis – nicht nur finanziell sondern an kondition.  Als best mögliche zeit versierte  ich die 3:40 an.

Mit dem Vaporetto, dem linienboot, gelangt man leicht zum Piazza Roma  und von dort mit dem bus  Nr. 5 zum Parco San Giuliano, wo die startunterlagen ausgegeben werden. F40 sollte meine nummer sein.  F - vielleicht für foreigner ? Als ich bejahte, dass ich das sei, dem diese nummer zugeteilt war, brach plötzlich hektik aus. Man schickte mich zum trouble desk und teile mir nach vielem hin und her eine neue nummer zu. 531 ! F stand nämlich für female, und da wollte man mich dann doch nicht haben.
Erstaunlich schon, dass ein sporthotel den Marathon völlig ignoriert. Weder gab es ein zeitiges frühstück, noch einen transfer zum bootsanlegesteg.  Zum glück ist Venedig voll und ganz auf den öffentlichen nahverkehr angewiesen. So war es ein leichtes Sonntagmorgen 5:20 mit dem Lido bus vom hotel zu starten, nach San Marco überzusetzen, um schließlich mit der 2 zum Gemüsemarkt beim Tronchetto Parkhaus zu gelangen.  Eigentlich hatte ich dort auf eine toilette gehofft. Nix war. Sofort kamen die busse angerollt und nahmen die designierten läufer in sich auf. Vorbei war’s mit dem gemütlichen sitzplatz. Das ich dann noch länger in der enge stehen musste haben wir dem busfahrer zu verdanken. Der gelenkbus den er steuerte  war ihm wohl völlig fremd. Er verfuhr sich hoffnungslos, konnte mit dem gefährt keine scharfen kurven bewältigen und scheiterte völlig beim zurücksetzen und wenden. Obwohl ich pünktlich vor 7:00 beim bustreffpunkt war, spuckte der bus mich erst nach 8:00 in Stra vor de r Villa Pisani aus. Da hallen bereits die dringenden apelle des ansagers über das start areal. „Sie haben nur noch eine halbe stunde zeit ihr sackerl abzugeben – um 8:30 müssen alle sackerl abgegeben sein“. Gewöhnlich sollte das ja reichen. Aber was ist mit klo !!!  Da stehen zig toilettenhäuschen und der ganze platz davor ist mit anstehenden menschenschlangen gefüllt. Aber es geht ordentlich zu. Eine schlange für zwei türchen, ca 25  läufer vor mir. Das müsste reichen. Nervös macht mich nur der ansager, der die minuten in allen sprachen herunterzählt. 8:20 bin ich dann dran. Gut! Ok, jetzt noch umziehen, eincremen, pflaster auf die brustwarzen…. Das umziehzelt ist so gut wie leer - die meisten stehen ja noch vor’m klo. Um punkt halb bricht dann das unvermeidliche caos aus. Die bereitstehenden lastwagen lassen ihre hörner erklingen zum zeichen das jetzt schluss ist mit abgabe der klamottentüte. Da stehen aber noch tausende auf dem vorplatz, und es ist nur eim ca 2 meter breiet durchgang um zu den lastern zukommen. Dass da zudem noch ein ordner steht, mit den armen rumfuchtelt, und „avanti avanti“ brüllt machte die sache nicht besser. Beruhigend zu wissen das  der kleidersack zur not auch noch beim Tronchetto parkhaus abholbar ist falls die laster schon weg sind . Nach der kleiderbeutelabgabe entspannte sich das volk merklich. Bis 8:00 musste man sich im richtigen startblock eingefunden haben – das nächste ultimatum. Ich hatte glück und war wegen vergangener leistungen im vorderen grünen block eingeteilt  (<3:30). Da war dann genügend platz, und pinkeln ging auch, zumindest für die herren, man musste nur über die leitplanke hüpfen und schon stand man am ufer des Brenta . Über genau diesen wurden auch die top läufer per feuerwehr boot vom anderen ufer eingeschifft. Anpeitschen mit fetter musik und laola welle war nicht, nur ein hubschrauber zeigte sich zum start am himmel. Die 4:30 und 4:40 luftballons standen so ca. 20 meter hinter mir. Da werden mich wohl gleich ein paar hundert läufer überrollen...Die bänder fallen, die blocks stürmen nach vorn (von den vorteilen des zeitversetzen blockstarts hat man hier wohl noch nichts gehört) 6500 marathonis ergiessen sich auf das landsträsschen, das sich entlang des Brenta Kanals dahinschlängelt.
 
Trübe ist es, fast herbstlich, melancholisch. Nur das trapsen von tausenden von  laufschuhen  ist zu hören. Ab und an bemüht sich in den kleinen ortschaften die wir durchqueren eine band,  aber viel menschen sind nicht gerade an der strecke. Dafür sind sie umso lauter und tempramentvoller mit ihren „dai, dai“ anfeuerungen für ihre sportler. Bis km 15  bin ich mit einer läuferin unterwegs die genau meinen schritt läuft – oder ich ihren. Ich verliere meine schrittmacherin  als ich dringend pinkeln muss. Wahrscheinlich hätte ich ihr tempo am ende eh nicht durchgehalten. Danach teile ich mir die zeit mit einem italiener, der auf 3:20 hinaus wollte. 10 minuten muss er dann noch aufholen, während ich sicher noch 10 minuten verlieren werde. Aber er ist guter dinge, und freut sich, wie ich, über keine sonne und die tollen 0,5 liter flaschen, mit denen sich trinken und kühlen bei allen bedingungen meistern lässt.  So kann ich die banane in ruhe beim laufen essen und verschütte nicht das wasser das ich zum nachspülen brauche. Ich liebe diese flaschen und frage mich warum nur die italiener auf so eine tolle idee kommen! Bis km 30 halte ich den 5min schnitt durch. Da habe ich schon den ruhigen Kanal, das öde industriegebiet von Marghera und die irre aufbrausende stimmung auf dem Piazza Ferreto in Mestre hinter mir. Eine erste brücke führt in den Guiliano Park. Und die hat es in sich. Nicht weil jetzt schluss ist mit flach, sondern weil es eine hängebrücke ist, die sich unter dem rythmus der läufer aufschaukelt. Ist man im gleichtakt, so wird man förmlich hochgeschleudert. Ist man aber im gegentakt so knallt man gnadenlos auf sie drauf. So an die hundert jahre muss man wohl noch warten bis hier wirklich etwas gewachsen ist was sich park nennen darf. Die kümmerlichen bäumchen auf der vertrockneten wiese sind eher zu bedauern, und dem tristen kombinierten fahrrad/fussweg, den wir vor uns haben, ergeht es nicht besser. Wegen hochwasser solle es nicht über den Markusplatz gehen, deshalb hat man noch eine kleine schleife am ende des parks eingebaut, damit die distanz stimmt.

           

Aber jetzt, jetzt kommt sie, die ewig lange Freiheitsbrücke durch die lagune raus auf die inseln. Nur gut das keine sonne scheint und kein wind geht. Wie wird es sein auf der anderen seite die man nur schwach erkennen kann. Wie wird es sein in der stadt wegen der man ja eigentlich hier her gekommen ist . Wie wird es sein mit dem pflaster, dem wasser und den 14 brücken die dort drüben warten. Wie wird es sein mit volk und zuschauer – und dem einlauf ins ziel. Am ende des stegs noch eine brücke rauf, dann entlang der kreuzfahrschiffe durch die hafengegend. 

                       

Und da kommt sie, die nummer  14. Der Ponte Molin. Ein stahlgerüst mit holzplatten drauf führt schräg hinauf zum scheitelpunkt und entlässt uns auf den Zattere, der uferpromenade entlang des Giudeccakanals.  Also, geht doch! Kein echtes problem. Unebenes feuchtes pflaster mit fetten pfützen mahnen zur vorsicht. Der weg ist schmal und am ufer stehen poller – und es geht senkrecht ins wasser. Die rampen auf die brücken sind eng und immer gibt es gehende ausgepumpte sportler aber auch endspurter die um jede sekunde kämpfen. Es werden keine kilometer mehr gezählt - nur noch brücken. Dann auf die spitze, dem Punta della Dogana. Nummer  8. Nur läufer dürfen rüber, über die schwimm pontons die in der vergangenen nacht aufgebaut wurden und den Canale Grande überspannen,  bis rüber nach San Marco. Immerhin ist sie hoch genug damit die vabrettos darunter hindruch passen. 
           

Vorbei geht’s an der fantastischen fassade des Palazzo Ducale. Die 7 - ohne rampe! Ponte  della Paglia. Sie bricht jeden laufrythmus und wohl niemand wird linkerhand die seufzerbrücke gewürdigt haben. Dann geht es schlag auf schlag. Brücke nach brücke wird erobert, auch wenn sie immer höher zu werden scheinen. Die menge brodelt.  Dann die 1. Der blick von oben auf die zielgerade. Ein letzter spurt.  Ja, ja. 3:39:22. ...und es fängt an zu nieseln. Chip aus der startnummer entfernen, essenstüte, wärmefolie, medaille  und kleiderbeutel in empfang nehmen und schnell durch zum ausgang bevor es hier noch enger wird. Da wartet auch Kerstin schon auf mich mit einem handtuch - die einzig möglichkeit für einen persönlichen serviece bei solch einem streckenlauf! Das boot zum Lido legt genau hier ab – also ab dafür. Die dusche und das bett warten.

                          

Stell dir vor, der Marcusplatz ist überschwemmt und du bekommst nix mit davon. Wie üblich läuft der fernseher in der kleinen fisch trattoria in Chioggia, ganz im süden der lagune. Während wir meeresfrüchte und proscco geniessen flimmern bilder von unwettern in ganz Italien über den bildschirm; unter anderem ein Marcusplatz der gut einen meter unter wasser steht. Als wir aber am nachmittag dort flanieren zeugen nur noch die vielen eingesammelten laufstege von dem ereignis. Vom glockenturm der San Giorgio Maggiore geniessen wir noch den blick über die stadt bis zu den verschneiten alpen, wobei uns der kalte wind  fast vom turm weht, um dann in das gewirr von gassen kanälen und brücken einzutauchen. Alle möglichen arten von enotecas, bars und osterias laden zum kurzen verweilen ein. Den Prosecco, den Spritz (venezianisches nationalgetränk mit weiswein und caparol), oder das glässchen wein sollte man aber direkt an der bar zu sich nehmen - So machen das traditionell die einheimischen . Dort gibt es meist auch Cicchetties, kleine leckereien – die venezianschen Tapas sozusagen.  Aber wehe man nimmt am tisch platz (al tavolo), da wird fast das dopplete verlangt  als an der bar (al banko). Während wir so von bartresen zu bartresen schwanken wird einem erst so richtig bewusst: Hier gibt es keine autos - gar keine – nicht mal mofas, -  ausschliesslich fussgänger. Die ganze stadt ist absolut frei von kraftfahrzeugen. Alles wird auf dem wasserweg oder mit sackkarren transportiert. Das hat was, und ist allein schon grund genug Venedig einen besuch abzustatten.

          

Fazit: Neben Rom und Florenz ist Venedig ein absolutes muss für jeden Marathoni der gerne das laufen mit dem sightseenig verbindet und die italiensche lebensart zu schätzen weis.

 
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